Wohltorfer Orgeljahr 2011

Die Konzertreihe „Wohltorfer Orgeljahr 2011“ erwies sich nicht nur als eine großartige Idee, die Klangschönheit der Beckerath-Orgel in der Heilig-Geist-Kirche zu würdigen; schon das Eröffnungskonzert am 26. 2. 2011 war ein rundum musikalischer Genuss und machte den zahlreichen Besuchern Lust auf die weiteren Konzerttermine dieser Reihe.

 Kein geringerer als Prof. Arvid Gast, u. a. Titularorganist der St. Jacobi-Kirche zu Lübeck, eröffnete den musikalischen Abend mit der Toccata in F von Dietrich Buxtehude. Dies konnte man einerseits als Wertschätzung eines norddeutschen Barock-Komponisten verstehen, andererseits schien die Wahl dieses Stückes wegen der Leichtigkeit der Verbindungen von Kontrapunktik und Virtuosität, und der Vermischung von melodischen und harmonischen Elementen besonders geeignet, die klangliche Vielfalt der hiesigen Orgel durch das strahlende, makellose Spiel von Arvid Gast zu demonstrieren.

Als gelungen erwies sich die Auswahl des zweiten Stückes, nämlich die Aria detto Balletto von Girolamo Frescobaldi, einem Thema mit sieben Variationen, mit großem gestalterischen Können und rhythmischem Gefühl an der Orgel vorgetragen. Frescobaldi war in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts der bedeutendste Organist, Begründer des Prinzips der Monothematik, und dürfte durch seine Virtuosität auch Buxtehude stark beeinflusst haben. Beeindruckend waren die rhythmischen und melodischen Umformungen des Themas, teilweise in Tanzvariationen, wobei eine melodische Linie stets erkennbar blieb.

Es folgte der erste spannende Auftritt des Buxtehude Ensemble Wohltorf unter der Leitung von Andrea Wiese mit drei „Fugger-Motetten“ von Orlando di Lasso, die teils zu Ehren und auf Rechnung der Fugger komponiert wurden. Mit großer Sicherheit und Genauigkeit sowie dynamischer Ausdifferenzierung bei ausgewogenem Klang wurden diese Lieder a capella dargeboten.

 Mit kraftvollem und fast hymnischem Vortrag des Präludium und Fuge in e von Johann Sebastian Bach leitete Arvid Gast den Höhepunkt des Abends ein, die Messe für zwei Chöre von Frank Martin, a capella gesungen vom Buxtehude Ensemble.

 Frank Martin gehört neben Honegger, Burkhard und Schoeck zu den bekanntesten Schweizer Komponisten des 20. Jahrhunderts. Seine Werke besitzen eine ganz eigene, unverwechselbare musikalische Sprache, die Elemente des französischen Impressionismus mit Techniken neuer Musik verbindet. Durch den besonderen Zusammenklang von Musik und Sprachmelodie ist die Messe für Doppelchor eine der schönsten Vertonungen einer Messe unserer Zeit, die in den Jahren 1922 und 1926 entstanden ist. Erstaunlicherweise blieb das Manuskript über 40 Jahre lang unentdeckt, bevor es erst 1963 durch den Kantor Franz Brunnert in Hamburg uraufgeführt wurde.

Die Kunstfertigkeit der Messe verlangt einem a capella Chor, der genau genommen in zwei eigenständige Chöre aufgeteilt ist, alles ab. Die zahlreichen komplexen Harmoniewechsel stellen höchste Anforderungen an die intonatorischen Fähigkeiten des Ensembles. Zudem werden kräftige, tiefe Bässe für zahlreiche profunde Bassstellen, und vor allem klare und hohe Sopranstimmen benötigt, welche ohne Vibrato und ohne gekünstelt zu klingen die helle Strahlkraft erzeugen können, nach welcher die Messe immer wieder verlangt. Die weit ausladenden und sehr langen Phrasen erfordern zudem einen langen chorischen Atem und die Fähigkeit, derart lange Linien ohne Klanglöcher bewältigen zu können.

Wie herrlich schlank und schwebend gelangen nach kurzer Anlaufzeit dem Buxtehude Ensemble bereits das „Kyrie“. So steigerte sich die Achtstimmigkeit beeindruckend zu einem rhythmisch und klanglich prägnantem Christe eleison und endete in einem elegischen Abgesang.Das „Gloria“ begann mit impressionistischen Klängen und interessanten Harmonien, verdichtete sich durch swingende Rhythmen und endete in einem fugenartigen Teil. Im „Credo“ gelang es dem Chor, die Glaubensgrundsätze hymnisch und wie in Stein gemeißelt wieder zu geben, das Et resurrexit war deutlich den Frauenstimmen vorbehalten. Im „Sanctus“ bewältigte das Ensemble Bitonalität und wechselnde, komplizierte unregelmäßige Rhythmen und erreichte durch die Interpretation eine überwältigende Intensität. Im „Agnus Dei“ waren die beiden Chöre am deutlichsten voneinander zu unterscheiden. Während der zweite Chor in monotonem Rhythmus Harmonie an Harmonie setzte und impressionistischen Klänge als Harmoniebett für den ersten Chor bereitete, psalmodierte der erste Chor in einer rhythmisch nach oben und unten frei schwebenden Melodie und führte das Geschehen in ein erlösendes dona nobis pacem.

 Andrea Wiese gelang mit dem Buxtehude Ensemble eine höchst bemerkenswerte Interpretation einer Musik von großer emotionaler Nähe und religiöser Aussage, ein gelungener Start in das Wohltorfer Orgeljahr 2011.

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